Die Halbwertzeit so mancher Manifeste überdauert nicht selten allenfalls ein Wochenende und manchmal auch nur zwei Flaschen Rotwein. Aber es gibt auch solche, die bleiben. Manifeste, deren ureigene Kraft sich über Jahre entwickelt. Die einen Nerv treffen, zeitlos und aktuell sind und deren Überzeugung den Antrieb für Generationen liefern.
Das Manifest für agile Softwareentwicklung ist ein solches. Entstanden vor mehr als 22 Jahren in einem Ski-Resort in den Bergen des US-Bundesstaates Utah. Unterzeichnet von 17 Autoren, die damals zusammenkamen, um ein paar gute Tage im Schnee zu verbringen. Bei Bier und gutem Essen wollten diese Branchenprofis schauen, ob sie gemeinsame Ideen entwickeln könnten.
Agile Ideen auch von Bundesministerien aufgegriffen
Das Manifest und seine daraus abgeleiteten 12 Prinzipien wurden seitdem in zahlreichen und vielfältigen Organisationsstrukturen dankbar adaptiert. Sogar eine Handvoll Bundesministerien hatte Quereinsteiger nach Ausbruch der Corona-Pandemie aus der Softwarebranche eingestellt, um die Ideen des agilen Arbeitens in die Bürokratie zu übertragen. Was die Gruppe damals formulierte, hat Spuren hinterlassen, die heute auch bis zu 5Minds führen. Die Leitlinien der „Snowbird 17″, wie die Autorengruppe getauft wurde, sind Teil unserer eigenen Betriebs-DNA geworden.
Dynamik im Sog der Digitalisierung
Zugegeben gab es die ersten Ansätze agiler Arbeitsprozesse schon in den 1990er-Jahren, als in multifunktionalen Teams schnelle Produktentwicklung und Produktionsabläufe sichergestellt werden sollten. Doch erst das Agile Manifest der Softwarebranche verlieh den neuerlichen Grundsätzen im Sog der Digitalisierung eine solche Dynamik, dass sie zu einer allgemeinen Philosophie des Arbeitens heranwachsen.
Immer im Zentrum des agilen Arbeitens steht der Kunde, nach dessen Bedürfnissen sich die Herangehensweise an ein neues Projekt richten muss. Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit, doch tatsächlich ist es das nicht. Schnell können die eigenen Ansprüche die Bedürfnisse des Kunden überlagern, wenn nicht immer wieder konsequent daran erinnert wird, was das eigentliche Ziel ist.
Sich selbst hinterfragen und reflektieren
„Es ist ein wesentlicher Bestandteil des agilen Arbeitens, sich immer wieder selbst zu hinterfragen und eindringlich zu reflektieren, ob man das eigentliche Ziel im Auge behält oder aus dem Fokus verloren hat“, sagt Frank von der Höh. Er ist Scrum-Master bei 5Minds, also derjenige, der die Einhaltung der agilen Prinzipien immer wieder auf den Prüfstand stellt.
Agiles Arbeiten könne in einem Unternehmen nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn es von der Geschäftsführung ebenfalls gelebt und gefördert würde, sagt Frank. Beispiel: die Selbstorganisation einzelner Teams. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil, der aber nur Sinn ergibt, wenn er integriert ist in ein Großes und Ganzes. Sprich: Die Selbstorganisation darf sich nicht so weit verselbstständigen, dass sie wertvolle Ressourcen verschwendet oder gar Unternehmensziele konterkariert.
Ganzheitliches Bekenntnis eines Unternehmens
In seiner Funktion als Scrum-Master nimmt er die Bereitschaft dazu in allen Geschäftsbereichen wahr, bis hinauf in die Unternehmensleitung. Es ergebe keinen Sinn, sagt er, einzelne Teams zu agilem Arbeiten zu motivieren, wenn das Prinzip nicht auch übergreifend umgesetzt wird.
Dinge hinterfragen, Positionen entwickeln
Das setzt gemäß den Manifest-Prinzipien beispielsweise voraus, dass Entwickler:innen und kaufmännische Abteilungen in engem Austausch bleiben. Am besten nicht nur über E-Mails oder Team-Chats, sondern in persönlichen Gesprächen. Vertrieb und Programmierer:innen müssen ihre Bedürfnisse und Probleme miteinander besprechen, um Dinge zu hinterfragen, Argumenten Nachdruck zu verleihen, gemeinsame Positionen zu entwickeln und dabei immer wieder gemeinsam auszuloten, was der Kunde wirklich benötigt.
Oder wie Frank es ausdrückt: „Es ist ein langer Pfad, der zum agilen Arbeiten führt. Aber er führt immer und ausschließlich in Richtung des Kunden.“